Irina Kosean über ihren Film HALBWERTSZEITEN

"Halbwertszeiten" ist für mich ein persönlicher Film geworden. Ich war damals vier Jahre alt und gehöre zu den Kindern der"Aufruhrgeneration" und zu der Generation, die nicht dabei war. Warum mein Vater immer nach Wackersdorf fuhr, konnte ich mir noch nicht erklären.
Und auch heute, zwanzig Jahre später, ist für mich im Hinblick auf die aktuelle politische Landschaft vieles, was damals geschah, kaum vorstellbar.An dem Protest beteiligten sich bis zu 900 000 Menschen. Eine Dimension, die heute angesichts geringer Wahlbeteiligung und "Politikverdrossenheit" schwer nachzuvollziehen ist. Trotz beruflicher und familiärer Belastung demonstrierten die Menschen jedes Wochenende über neun Jahre hinweg.

Obwohl (oder gerade weil) das Bauvorhaben "WAA in der Oberpfalz" schon von der bayerischen Staatsregierung beschlossen worden war, wurden die Stimmen des Widerstandes vehementer. Unverrückbar standen sich am Bauzaun die Fronten gegenüber. In bürgerkriegsähnlichen Zuständen wurden Steine geschmissen, CS- Gas und Wasserwerfer eingesetzt. Die Menschen riskierten buchstäblich Kopf und Kragen.Heute ist dieser Widerstand fast gänzlich in Vergessenheit geraten. "Damals war noch eine politische Zeit," höre ich oft von den damals politisch Engagierten. Aber warum ist das so? Und was ist heute anders? Und wäre heute so ein Widerstand noch möglich. Mit diesen Fragen habe ich mich auf den Weg nach Wackersdorf gemacht.Dort habe ich sehr unterschiedliche Menschen kennen gelernt: die oberpfälzische Hausfrau, genauso wie den Münchner Autonomen. Alle unterscheiden sich in Charakter, Alter und vielen Aspekten ihrer Lebenseinstellung, aber sie alle lernten damals voneinander und soziale Grenzen und Vorurteile verschwanden. "Wackersdorf" wurde für sie zu einer der wesentlichsten Erfahrung in ihrem Leben. Der Widerstand hat sie geprägt und verändert - oft zum eigenen Erstaunen. Und alle sprechen von etwas, das sie immer weitermachen ließ -einer Art unsichtbarem Kraftquell. Und selbst heute, noch zwanzig Jahre später, schöpfen sie daraus.Diese Gespräche haben mich sehr berührt. Gerade in einer Zeit, in der wir vieles einfach hinzunehmen scheinen und die als unpolitisch gilt, hat mich dieser Blick in unsere jüngste Geschichte nachdenklich gemacht. Auch ich habe mich dann gefragt: wo ist eigentlich mein Wackersdorf?

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